Von der Ambivalenz der Dinge - Die Häkelobjekte von Patricia Waller

von André Lindhorst, Leiter der Kunsthalle Osnabrück

 

© 2000 André Lindhorst
aus: Needleworks II, Katalog Patricia Waller, Osnabrück 2000

Homogen ist das Werk der in Karlsruhe lebenden Künstlerin Patricia Waller in dreifacher Hinsicht. Erstens in der Beschränkung auf das Material Wolle und der Technik des Häkelns, zweitens in der Kontinuität und Systematik der Arbeit und drittens in der Konzentration des Inhaltlichen.

In Anbetracht des Materials Wolle mag man an Handschuhe und Pudelmützen oder an "Omas Pullover für kalte Tage" denken. Oder auch an Handarbeiten, die die Heimeligkeit und Geborgenheit der guten Stube unterstreichen helfen sollen. Möglicherweise denkt man noch an die kitschigen Puppen und Hütchen, die als wollene Überzüge für Klopapierrollen dienen und die dekorativ auf der Hutablage des Automobils, neben dem auf ein Kissen gestickten Autokennzeichen, plaziert werden.

Patricia Waller, von Haus aus eigentlich Bildhauerin, wechselte während des Kunststudiums an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Karlsruhe, zu "Nadel und Faden". "Needleworks" nannte sich treffend eine ihrer Ausstellungen mit Häkelarbeiten aus Wolle und löste damit große Resonanz beim Publikum und der Fachpresse aus, obwohl Wolle doch eher als ein mit dem virtuellen Zeitalter unvereinbares Material gilt und Häkeln als eine anachronistische Technik belächelt wird. Doch Patricia Wallers augenzwinkernde Persiflage auf Spießigkeit, Kleinbürgertum und Optimierungssuche lebt von ambivalenten Bezügen.

Ihre künstlerische Intention beschreibt Patricia Waller wie folgt: "Wolle wird künstlerisch und kunstgeschichtlich eher als minderwertig eingestuft Es ist nicht gerade der Stoff, aus dem große Kunst gemacht wird. Wir Künstlerinnen, die damit arbeiten, reflektieren anhand des Materials und der Methode, die man als genuin weiblich bezeichnen kann, unseren Stellenwert in der Kunst, der Kultur und der Gesellschaft" [1].

Patricia Waller hat ihren künstlerischen Spielrahmen weit gesteckt. Als Mitglied im "Institut für die Beobachtung von Abdingbarem" dechiffriert sie augenzwinkernd Ungereimtheiten an der Nahtstelle zwischen Kitsch und Kunst und berichtet unkonventionell und mit subtiler Skepsis vom Zeitgeist-Boulevard. Sie wirft existentielle und ethische Fragen auf und ist eine akribische und ideenreiche Meisterin der Camouflage. Sobald sie die Realitätsebenen verrutschen läßt, treten hinter scheinbar banalen Alltagssituationen Ängste und Traumata hervor. Gewalt wird erahnbar. Gerade durch die Eigenschaft des von ihr verwendeten Materials Wolle - aus Polaritäten und einer Irritation heraus - wird die Ambivalenz der Dinge sichtbar.

Die Häkelskulpturen der Künstlerin irritieren zunächst. Sie spielen in der Regel eine Doppelrolle und sind verrätselt. Sie sind sowohl hintergründiges Zeichensystem als auch Charaden, die sich nicht immer griffig interpretieren lassen. Doch immer bereitet Patricia Waller ihrem Publikum ebenso lustvolle wie anspruchsvolle Seherlebnisse. "Ich versuche bei allen Arbeiten durch Eingriffe und veränderte Präsentationsformen neue und andere Sichtweisen und Assoziationsebenen für den Betrachter zu schaffen...", sagt sie. " Die Ironie oder der Humor in der Arbeit sind ganz sicher beabsichtigt. Es ist mir wichtig, dem Betrachter einen Zugang zum Werk zu ermöglichen. Ein Lachen oder ein Lächeln zu erzeugen werte ich als positives und legitimes Mittel der Annäherung. Das heißt selbstverständlich nicht, daß ich meine Arbeit nicht sehr ernst nehme. Diese Form der Ironie verstehe ich eher als ein "Mittel des Durchschauens". Eine derartige Vorgehensweise gibt mir die Möglichkeit, an der Ausführung der Ideen Spaß zu haben und die Kunst nicht als quälende Aufgabe, sondern als verantwortungsbewußtes, positives Handeln zu begreifen" [1]

Patricia Waller setzt ihre Themen dort an, wo sich ein jeder auskennt - im Alltag, im gewohnten Ambiente und im scheinbar harmlos-häuslichen Leben. Ein dentales Präparat bzw. das in ein reinigendes Mittel eingelegte künstliche Gebiß kann dabei eine ganze Gedankenkette auslösen - über Prothesen, Organspenden, Transplantationen oder den kommerziellen Handel mit Organen. In den Werkserien "Spenden" und "Handicap" stellt die Künstlerin ein ganzes Ersatzteillager von Prothesen und in konservierende Flüssigkeit eingelegte menschliche Augen, Ohren, Finger und Herzen vor. Alles am Menschen scheint ersetz- und austauschbar. Das bedeutendste aller Originale, der Mensch, ist in Zeiten der virtuellen Realität auch nur noch eine Kopie, ein Ergebnis eines risikoreichen Optimierungswahns. Der "Embryo" bezieht seine Lebensenergie und Brutwärme über eine Nabelschnur aus der Steckdose - rosige Aussichten!

Aus Spiel wird Ernst. Im Zyklus "Computergames" löst ein Knopfdruck das Böse und Unheimliche aus, bringt ein Defekt die Welt an den Rand der Vernichtung. Die Cyber-Welt zeigt sich in ihrer ganzen Kälte. Mars attacks! Untertassen rauschen aus dem Weltall heran. Fremde Raumschiffe bedrohen den blauen Planeten. Schon kreisen die Vorboten der Invasion über dem hübsch bemalten Schwarzwaldhaus. Bald sinken die idyllischen, friedlichen Bergdörfer in Schutt und Asche. Selbst die Kirche - Bastion einst gegen alles Übel - bleibt nicht verschont und steht in Flammen.

Mutanten und Aliens als Metapher für das bedenkenlose Wagnis der Manipulation an der eigenen Natur, als Leitfossilie einer Wissenschaft, die das Leben ohne ethische Vorbehalte zu optimieren sucht, die die Balance, das Wohlbehütetsein im Prozeß der Natur, aufs Spiel setzt. Gefühle spielen keine Rolle. Fortschritt auf Teufel komm raus! Der Plüschteddy aus behüteten Kindertagen, eingepfercht im Einwegglas, konserviert für bessere Zeiten. Spätestens jetzt bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

Immer wieder klingt in Patricia Wallers Arbeiten die Infragestellung des Umgangs mit der Natur an. Hintergründig angerichtet ist in diesem Zusammenhang das Vernissage-Buffet. Teller und Schüsseln sind üppig gefüllt. Die Haifischflossen- und Schildkrötensuppe ist angerichtet. Ein abgeschlagener Schweinskopf garniert den gedeckten Tisch. Doch Achtung! Die geschundene Natur rächt sich. Die Augen des Spanferkels funkeln böse, ja geradezu feindselig ("Spanferkel"). Und auch der Hummer, der in kochendem Wasser Höllenqualen gelitten hat, scheint mit seinen kräftigen Scheren nur auf eine Hand zu warten, die es wagt, zuzugreifen ("Hummer, Buffet-Detail").

In der Werkgruppe "Don´t kill your idols" zitiert Waller populäre Künstler, den Bildhauer Stephan Balkenhol beispielsweise, oder auch Joseph Beuys, Marcel Duchamp, Robert Gober, Jeff Koons, René Magritte und Vincent van Gogh. Mit Marcel Duchamp oder René Magritte sind Künstler angesprochen, deren Konzepte im weitesten Sinn im Bezug zur Arbeit Patricia Wallers stehen. Am belgischen Surrealisten René Magritte interessiert Waller "der Umgang mit banalen, alltäglichen Gegenständen bzw. die Art und Weise, wie er durch Veränderung und Verfremdung neue Bilder schafft. Es gelingt ihm, die Gegenstände völlig frei zu machen von ihrer alltäglichen Bedeutung und Nichtigkeit und sie mit neuen Bedeutungen zu füllen. Das sind Dinge, die mir bei der eigenen Arbeit ebenfalls wichtig sind" 1.

Mit der Arbeitsgruppe "Don´t kill your idols" verweist die Künstlerin u.a. auf die ihr nahestehenden Traditionslinien Pop-Art, Dada und Surrealismus. Sie legt ihr Augenmerk mittels der Gruppe der Zwangsjackenobjekte jedoch besonders auch auf Künstler, die sich mit der äußeren und inneren paranoischen Wirklichkeit beschäftigt haben, wie Francis Bacon, oder dem an den Widersprüchen zwischen Kunst und Wirklichkeit zugrunde gegangenen Vincent van Gogh.

Patricia Waller ersinnt immer wieder stimmige, spannende Querverbindungen zwischen ihren Themen. Ein "wortwörtlicher" roter Faden läuft durch. Die Künstlerin lotet zyklisch in Arbeiten gesellschaftliche Bereiche wie Familie, Religion, Forschung, Medizin, Technik, Recht und Kultur aus. Ein kritisches Psychogramm der Gesellschaft schlechthin ist so entstanden, ein feinmaschiges Netz von Beziehungen in einer eigenwilligen, dem Comic nahestehenden Ästhetik. Sie trifft den Kern ihres Anspruchs, die nachdrückliche, humorvolle, zugleich aber auch intellektuelle Herausforderung durch Kunst.

 

[1]  Die hier wiedergegebenen Äußerungen von Patricia Waller sind einem Interview der italienischen Kunstzeitschrift "Juliet" von März 1997 entnommen.